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Düsseldorf, Nov 17, 2025
Christopher Riedel

Unternehmerische Vermögensnachfolge aus steuerrechtlicher Sicht #3: Lebzeitige Vermögensübertragung – Strategien der vorweggenommenen Erbfolge

Von Dr. Christopher Riedel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf

Die lebzeitige Vermögensübertragung hat sich in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Baustein der modernen Vermögensnachfolge entwickelt. Was einst als exotisches Gestaltungsinstrument für Großvermögen galt, ist heute für Mittelstandsunternehmer und vermögende Privatpersonen zu einer unverzichtbaren Strategie geworden. Die Gründe liegen auf der Hand: Die demografische Entwicklung, steigende Immobilienwerte und die Komplexität des Steuerrechts machen eine frühzeitige und strukturierte Vermögensübertragung nicht nur sinnvoll, sondern oftmals existenziell notwendig. Gleichzeitig bergen die verschiedenen Gestaltungsformen der vorweggenommenen Erbfolge erhebliche Risiken, die ohne professionelle Beratung zu kostspieligen Fehlentscheidungen führen können.

Die vorweggenommene Erbfolge bezeichnet die Übertragung von Vermögenswerten bereits zu Lebzeiten des künftigen Erblassers an seine späteren Erben. Obwohl dieser Begriff im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht ausdrücklich definiert ist, hat er sich in der Praxis als Sammelbegriff für verschiedene Formen der lebzeitigen Vermögensübertragung etabliert. Im Kern handelt es sich dabei um Schenkungen im rechtlichen Sinne, die aber mit dem strategischen Ziel erfolgen, die spätere Erbfolge zu gestalten und zu optimieren. Die Bedeutung der vorweggenommenen Erbfolge erstreckt sich weit über reine Steuerersparnisse hinaus. Sie dient der frühzeitigen Klärung der Vermögensnachfolge, der Vermeidung von Erbstreitigkeiten und der finanziellen Unterstützung der nächsten Generation zu einem Zeitpunkt, wo diese das Vermögen am dringendsten benötigt. Gleichzeitig ermöglicht sie es dem Übergeber, den Vermögensübergang zu gestalten und zu begleiten, anstatt die Verteilung dem Zufall oder späteren Konflikten zu überlassen. Die rechtliche Einordnung der vorweggenommenen Erbfolge als Schenkung bringt sowohl Chancen als auch Risiken mit sich. Während die steuerrechtlichen Regelungen erhebliche Optimierungsmöglichkeiten bieten, unterliegt sie auch den strengen Vorschriften des Schenkungsrechts, insbesondere den Rückforderungsansprüchen bei Verarmung des Schenkers und den Pflichtteilsergänzungsansprüchen der Erben.

Steuerliche Vorteile der lebzeitigen Vermögensübertragung

Der wichtigste Vorteil der lebzeitigen Vermögensübertragung liegt in der optimalen Nutzung der steuerlichen Freibeträge. Während bei einer Erbschaft die Freibeträge nur einmalig genutzt werden können, ermöglicht die Zehn-Jahres-Regel bei Schenkungen eine mehrfache Ausschöpfung dieser Freibeträge. Ehepartner können sich alle zehn Jahre bis zu 500.000 Euro steuerfrei schenken, Kinder erhalten von jedem Elternteil alle zehn Jahre einen Freibetrag von 400.000 Euro. Die praktischen Auswirkungen dieser Regelung sind erheblich. Ein vermögender Unternehmer mit einem Vermögen von 1,6 Millionen Euro kann durch eine geschickte zeitliche Staffelung das gesamte Vermögen steuerfrei auf seine beiden Kinder übertragen. Jedes Kind würde zunächst 400.000 Euro erhalten, nach zehn Jahren weitere 400.000 Euro. Würde das gesamte Vermögen erst im Erbfall übertragen, entstünde bei jedem Kind eine Erbschaftsteuer von 60.000 Euro. Besonders interessant wird die steuerliche Gestaltung bei Immobilien. Hier kann durch die Vereinbarung von Nießbrauch oder Wohnrecht der schenkungsteuerpflichtige Wert erheblich reduziert werden. Der Wert des vorbehaltenen Nutzungsrechts wird vom Immobilienwert abgezogen, wodurch die Schenkungsteuer sinkt oder sogar ganz entfällt. Bei einer 600.000 Euro teuren Immobilie und einem 70-jährigen Schenker kann der Nießbrauchswert (nach dem Bewertungsgesetz) leicht 200.000 Euro betragen, sodass nur noch 400.000 Euro der Schenkungsteuer unterliegen – ein Betrag, der genau dem persönlichen Freibetrag für Kinder entspricht. Steuerlich noch günstigere Ergebnisse lassen sich oft mithilfe von Sachverständigengutachten zum Nachweis des sogenannten niedrigeren gemeinen Werts der belasteten Immobilie erzielen. 

Nießbrauch und Wohnrecht als Absicherungsinstrument 

Die Absicherung des Übergebers stellt einen zentralen Aspekt jeder lebzeitigen Vermögensübertragung dar. Nießbrauch und Wohnrecht haben sich als die wichtigsten Instrumente erwiesen, um diese Absicherung zu gewährleisten, unterscheiden sich aber erheblich in ihrem Umfang und ihren Auswirkungen. Der Nießbrauch nach den §§ 1030 ff. BGB gewährt dem Berechtigten das umfassende Recht, eine Sache zu nutzen und die Früchte daraus zu ziehen. Bei Immobilien bedeutet dies, dass der Nießbraucher sowohl selbst in der Immobilie wohnen als auch diese vermieten und die Mieteinnahmen behalten kann. Der Nießbraucher wird damit zum "wirtschaftlichen Eigentümer" der Immobilie, während das rechtliche Eigentum beim Beschenkten liegt. Das Wohnungsrecht nach § 1093 BGB ist demgegenüber enger gefasst und berechtigt prinzipiell nur zur eigenen Nutzung der Immobilie zu Wohnzwecken. Eine Vermietung ist – vorbehaltlich anderer Vereinbarungen – nicht gestattet. Dafür ist das Wohnungsrecht in der Regel weniger werthaltig als der Nießbrauch, was bei der Schenkungsteuerberechnung zu geringeren Abzügen führt. Die Wahl zwischen Nießbrauch und Wohnungsrecht hängt von den individuellen Bedürfnissen ab. Möchte der Übergeber weiterhin Erträge aus der Immobilie erzielen, ist der Nießbrauch die richtige Wahl. Geht es nur um die Sicherung der eigenen Wohnmöglichkeit, kann das Wohnungsrecht ausreichen. Beide Rechte müssen zwingend im Grundbuch eingetragen werden und können nicht übertragen werden. Sie enden grundsätzlich mit dem Tod des Berechtigten.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch als Risikofaktor

Ein oft unterschätztes Risiko der lebzeitigen Vermögensübertragung stellt der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB dar. Diese Regelung soll verhindern, dass Erblasser durch lebzeitige Schenkungen die Pflichtteilsansprüche ihrer Erben aushöhlen. Schenkungen der letzten zehn Jahre vor dem Tod werden dem Nachlass fiktiv hinzugerechnet, wodurch sich der Pflichtteil entsprechend erhöht. Die Zehn-Jahres-Frist beginnt grundsätzlich mit der Schenkung zu laufen und führt zu einer jährlichen Abschmelzung des berücksichtigungsfähigen Wertes um zehn Prozent. Nach zehn Jahren ist die Schenkung für die Pflichtteilsberechnung irrelevant. Diese klare Regel wird jedoch durch die sogenannte Genussverzichtsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs erheblich kompliziert. Behält sich der Schenker Nießbrauch oder Wohnungsrecht vor, beginnt die Zehn-Jahres-Frist nach dieser Rechtsprechung erst mit dem tatsächlichen Verzicht auf die Nutzung zu laufen. Bei einem vorbehaltenen Nießbrauch oder Wohnungsrecht bis zum Tod bedeutet dies, dass die Frist erst mit dem Tod beginnt – die Schenkung wird also vollständig bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt. Diese Rechtsprechung kann zu erheblichen unerwarteten Belastungen führen. Ein Vater, der sein Haus vor 15 Jahren an seinen Sohn übertragen und sich ein Wohnungsrecht vorbehalten hat, muss damit rechnen, dass beim späteren Pflichtteilsanspruch der Tochter das Haus vollständig mitgerechnet wird. Die scheinbar sichere Gestaltung entpuppt sich als Pflichtteilsfalle.

Sozialhilferückgriff und die Zehn-Jahres-Frist

Ein weiteres erhebliches Risiko der lebzeitigen Vermögensübertragung stellt der mögliche Sozialhilferückgriff dar. Nach § 528 BGB kann ein verarmter Schenker die Rückgabe des Geschenks verlangen, wenn er seinen eigenen Unterhalt nicht mehr bestreiten kann. Dieses Recht geht nach § 94 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über, wenn der Schenker Sozialleistungen erhält. Allerdings regelt § 529 BGB einen Ausschluss des Rückgriffs, wenn seit der Ausführung der Schenkung zehn Jahre verstrichen sind. Wird der Schenker also beispielsweise erst 15 Jahre nach Vollzug einer Schenkung pflegebedürftig und auf Sozialhilfe angewiesen, kann die Schenkung nicht mehr zurückgefordert werden, weil sie mehr als zehn Jahre vor Eintritt der Bedürftigkeit erfolgte. Problematisch ist die Situation aber bei Immobilienschenkungen mit vorbehaltenen Nutzungsrechten. Hier gelten zwar glücklicherweise nicht die zum Pflichtteilsergänzungsanspruch dargestellten Grundsätze. Schwierigkeiten bereitet aber mitunter die Bemessung des Werts der dem Rückgriff unterliegenden Schenkung. Denn insoweit kommt es nicht auf den Wert der unbelasteten Immobilie an, vielmehr müssen die vorbehaltenen Rechte berücksichtigt werden. 

Praktische Gestaltungsformen und Vertragsklauseln

Die erfolgreiche Umsetzung einer lebzeitigen Vermögensübertragung erfordert eine sorgfältige vertragliche Gestaltung. Bei Immobilien ist grundsätzlich eine notarielle Beurkundung erforderlich, bei Geldschenkungen reicht die formlose Übertragung. Dennoch empfiehlt sich auch bei Geldschenkungen ein schriftlicher Vertrag, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Die Vereinbarung von Nießbrauch oder Wohnrecht muss präzise erfolgen. Dabei sollte klargestellt werden, ob das Recht nur den Schenker oder auch dessen Ehepartner umfasst, welche Räumlichkeiten erfasst sind und wer für Unterhalt und Instandhaltung verantwortlich ist. Bei vermieteten Objekten sollte geregelt werden, wer die Mietverträge abschließt und kündigt. Rückfallklauseln und Widerrufsrechte können zusätzliche Sicherheit bieten Pflegeklauseln, bei denen sich der Beschenkte zur Pflege und Betreuung des Schenkers im Alter verpflichtet, sind insoweit problematisch als die Definition des Werts der eingegangenen Verpflichtung äußerst streitanfällig ist. Außerdem ist auch die Durchsetzung derartiger Verpflichtungen im Streitfall nur schwer möglich. Dessen ungeachtet können solche Klauseln prinzipiell sowohl die Schenkungsteuer und etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche reduzieren als auch das Risiko von Sozialhilferückgriffen mindern. 

Risiken und rechtliche Fallstricke

  • Das Timing-Problem: Viele Schenkungen scheitern an falschen Zeitvorstellungen. Die Zehn-Jahres-Regel wird oft missverstanden – sie bezieht sich nicht auf die Schenkung selbst, sondern auf verschiedene andere Ereignisse. Beim Pflichtteil kommt es auf den Todeszeitpunkt an, beim Sozialhilferückgriff auf den Eintritt der Bedürftigkeit.
  • Die Entreichungsroblematik: Beschenkte können sich nicht einfach durch Weiterveräußerung des Geschenks der Rückforderung entziehen. Solange sie noch über den Wert verfügen – etwa durch Ersatzanschaffungen –, liegt keine Entreicherung vor. Nur bei echter wirtschaftlicher Notlage des Beschenkten kann die Rückforderung abgewehrt werden.
  • Fehlende Liquidität bei Immobilienschenkungen: Wenn später Erbschaft- oder Schenkungsteuer, Pflichtteilsansprüche oder Rückforderungen anfallen, fehlt oft die Liquidität zu deren Begleichung. Bei Immobilienschenkungen sollte daher immer mitgeplant werden, wie solche Belastungen finanziert werden können.
  • Familiäre Konflikte: Die vorweggenommene Erbfolge kann bestehende Familienstrukturen durcheinanderbringen. Wenn ein Geschwisterteil bereits zu Lebzeiten erhebliche Zuwendungen erhält, entstehen oft Neid und Streitigkeiten. Eine offene Kommunikation und faire Ausgleichsregelungen sind unerlässlich.

 Strategische Empfehlungen für die Praxis 

  • Frühzeitige und gestaffelte Übertragung: Je früher mit der Vermögensübertragung begonnen wird, desto mehr Gestaltungsspielraum besteht. Eine gestaffelte Übertragung über mehrere Zehn-Jahres-Perioden ermöglicht die optimale Nutzung der Freibeträge bei gleichzeitiger Risikoverteilung.
  • Kombinierte Strategien: Die Kombination verschiedener Instrumente kann sowohl die steuerlichen Vorteile maximieren als auch die Risiken minimieren. Eine teilweise Schenkung mit Nießbrauchsvorbehalt, kombiniert mit einer späteren vollständigen Übertragung nach Ablauf der kritischen Fristen, kann oft optimale Ergebnisse erzielen.
  • Regelmäßige Überprüfung: Die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Eine einmal getroffene Gestaltung sollte regelmäßig überprüft und angepasst werden. Insbesondere bei sich ändernden Familienverhältnissen oder Vermögensstrukturen kann eine Anpassung notwendig werden.
  • Professionelle Beratung: Die Komplexität der lebzeitigen Vermögensübertragung macht eine fachkundige Beratung durch spezialisierte Rechtsanwälte und Steuerberater unerlässlich. Die Kosten für eine professionelle Beratung amortisieren sich meist schon durch die Vermeidung einzelner Fehler.

 Die lebzeitige Vermögensübertragung bleibt eines der mächtigsten Instrumente der Vermögensnachfolgeplanung. Wer die Chancen nutzen und die Risiken beherrschen will, muss jedoch bereit sein, sich intensiv mit der Materie auseinanderzusetzen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. In einer Zeit steigender Vermögenswerte und komplexer werdender Familienstrukturen entscheidet die richtige Strategie über den langfristigen Erhalt des Familienvermögens. Wer heute handelt und dabei die rechtlichen Fallstricke vermeidet, schafft die Grundlage für eine erfolgreiche Vermögensübertragung an die nächste Generation.

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