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Düsseldorf, Okt 13, 2025
Christopher Riedel

Unternehmerische Vermögensnachfolge aus steuerrechtlicher Sicht #2: Freibeträge der Erbschaft- und Schenkungsteuer richtig nutzen

Von Dr. Christopher Riedel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf

Das deutsche Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht gehört zu den komplexesten Bereichen des Steuerrechts und stellt sowohl Vermögensinhaber als auch deren Berater vor erhebliche Herausforderungen. Während die grundlegenden Prinzipien der Besteuerung von Vermögensübertragungen auf den ersten Blick simpel erscheinen mögen, offenbart sich bei genauerer Betrachtung ein vielschichtiges System aus Freibeträgen, Steuerklassen und Gestaltungsmöglichkeiten, das erhebliche Optimierungspotenziale bietet. Die Kenntnis der rechtlichen Grundlagen und die strategische Nutzung der vorhandenen Gestaltungsspielräume können den Unterschied zwischen einer erheblichen Steuerbelastung und einer nahezu steuerfreien Vermögensübertragung ausmachen.

Das Grundprinzip des deutschen Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts 

Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz verfolgt das Ziel, Vermögensübertragungen zwischen Generationen zu besteuern, dabei aber die Familie als Kern der Gesellschaft zu schützen. Dieses Spannungsfeld zwischen fiskalischen Interessen des Staates und familienpolitischen Zielen spiegelt sich in der Ausgestaltung des Gesetzes wider. Die Steuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen sowie bei Schenkungen unter Lebenden, wobei die Höhe der Belastung maßgeblich vom Verwandtschaftsgrad zwischen Schenker und Beschenktem abhängt. Die Steuerpflicht tritt ein, wenn mindestens eine der beteiligten Personen - Erblasser oder Erbe, Schenker oder Beschenkter - ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Darüber hinaus unterliegt auch die Übertragung von Inlandsvermögen der deutschen Besteuerung, selbst wenn beide Parteien im Ausland ansässig sind. Diese weite Definition der Steuerpflicht stellt sicher, dass der deutsche Fiskus an der Übertragung von Vermögenswerten partizipiert, die eine Verbindung zu Deutschland aufweisen. 

Systematik der Steuerklassen und Freibeträge

Das Herzstück des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts bildet die Einteilung der Erwerber in drei Steuerklassen, die sich nach dem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser oder Schenker richten. Diese Systematik folgt dem Grundsatz, dass nahe Verwandte sowohl höhere Freibeträge als auch günstigere Steuersätze erhalten sollen. Steuerklasse I umfasst die engsten Familienangehörigen und bietet die großzügigsten Freibeträge. Ehepartner und eingetragene Lebenspartner können bis zu 500.000 Euro steuerfrei erwerben. Kinder und Stiefkinder sowie Enkelkinder verstorbener Eltern erhalten einen Freibetrag von 400.000 Euro. Enkelkinder, deren Eltern noch leben, können immerhin 200.000 Euro steuerfrei erwerben. Urenkel sowie Eltern und Großeltern haben bei Erbfällen einen Freibetrag von 100.000 Euro. Steuerklasse II betrifft entferntere Verwandte und bietet deutlich geringere Freibeträge. Hierzu gehören Geschwister, Nichten und Neffen, Stiefeltern, Schwiegerkinder und Schwiegereltern sowie geschiedene Ehepartner. Alle diese Personen erhalten einen einheitlichen Freibetrag von lediglich 20.000 Euro. Steuerklasse III erfasst alle übrigen Personen, die nicht in die ersten beiden Steuerklassen fallen. Auch hier beträgt der Freibetrag nur 20.000 Euro, jedoch sind die Steuersätze am höchsten.

Die Steuersätze folgen einem progressiven System, das sowohl von der Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs als auch von der Steuerklasse abhängt. In Steuerklasse I beginnen die Steuersätze bei sieben Prozent für Erwerbe bis 75.000 Euro und steigen stufenweise auf 11 Prozent bis 300.000 Euro, 15 Prozent bis 600.000 Euro und schließlich auf maximal 30 Prozent für Erwerbe über 26 Millionen Euro. Steuerklasse II sieht deutlich höhere Steuersätze vor, die bei 15 Prozent für Erwerbe bis 75.000 Euro beginnen und bis auf 43 Prozent für Erwerbe über 26 Millionen Euro ansteigen. Steuerklasse III belastet Erwerbe am stärksten mit Steuersätzen zwischen 30 und 50 Prozent. Diese Steuersätze verdeutlichen die erheblichen finanziellen Auswirkungen des Verwandtschaftsgrads. Während ein Kind bei einem Erwerb von 500.000 Euro nach Abzug des Freibetrags nur 11.000 Euro Steuer zahlen muss, würde ein (nicht blutsverwandter) Neffe bei gleichem Erwerb 144.000 Euro an Steuern entrichten müssen.

Die Zehn-Jahres-Regel als Gestaltungsinstrument 

Eine der wichtigsten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts ist die Zehn-Jahres-Regel des § 14 ErbStG. Diese Regelung besagt, dass mehrere Erwerbe, die innerhalb von zehn Jahren von derselben Person an denselben Erwerber erfolgen, zusammengerechnet werden müssen. Der Freibetrag kann daher nur einmal innerhalb dieses Zeitraums in Anspruch genommen werden. Diese Regelung verhindert, dass Vermögensübertragungen in mehrere kleinere Teilgeschäfte aufgeteilt werden, um die Freibeträge mehrfach zu nutzen[13]. Ohne diese Vorschrift könnte theoretisch unbegrenzt Vermögen steuerfrei übertragen werden, indem die Übertragungen in Beträge unterhalb der Freibeträge aufgeteilt würden.

Die praktische Bedeutung der Zehn-Jahres-Regel zeigt sich besonders bei der vorweggenommenen Erbfolge. Wenn beispielsweise ein Vater seinem Sohn 2020 bereits 300.000 Euro geschenkt hat und 2025 weitere 200.000 Euro schenken möchte, müssen beide Schenkungen zusammengerechnet werden[15]. Der Gesamtbetrag von 500.000 Euro übersteigt den Freibetrag von 400.000 Euro, sodass 100.000 Euro der Schenkungsteuer unterliegen. Die Zehn-Jahres-Regel wirkt auch über den Tod hinaus. Stirbt der Schenker innerhalb von zehn Jahren nach einer Schenkung und hinterlässt dem Beschenkten zusätzlich noch Vermögen, werden die Schenkung und die Erbschaft zusammengerechnet[14][15]. Dies kann zu erheblichen Steuernachzahlungen führen, wenn die Gesamtbelastung die ursprünglich gezahlte Schenkungsteuer übersteigt.

Die strategische Nutzung der Freibeträge erfordert eine langfristige Planung und das Verständnis der zeitlichen Abläufe. Da die Freibeträge alle zehn Jahre neu genutzt werden können, bietet sich bei größeren Vermögen eine gestaffelte Übertragung an[16][9]. Ein Unternehmer mit einem Vermögen von 1,2 Millionen Euro könnte seinem Kind zunächst 400.000 Euro schenken und nach zehn Jahren weitere 400.000 Euro, wodurch bereits 800.000 Euro steuerfrei übertragen wären. Bei der Planung solcher gestaffelten Übertragungen ist jedoch die Wertentwicklung des Vermögens zu berücksichtigen. Wenn das Vermögen stark wächst, kann es sinnvoller sein, bereits heute einen höheren Betrag zu übertragen und die anfallende Schenkungsteuer zu zahlen, anstatt die Zehn-Jahres-Frist abzuwarten.

Kettenschenkungen als Gestaltungsinstrument 

Eine besonders effektive Methode zur Optimierung der Steuerbelastung ist die Kettenschenkung, bei der Vermögen nicht direkt an den gewünschten Endempfänger übertragen wird, sondern über eine Zwischenperson geleitet wird. Diese Gestaltung ermöglicht es, mehrere Freibeträge zu nutzen und dadurch die Steuerbelastung erheblich zu reduzieren oder sogar vollständig zu vermeiden. Ein klassisches Beispiel für eine Kettenschenkung ist die Übertragung von Vermögen vom Großvater an das Enkelkind über den Vater als Zwischenperson. Möchte ein Großvater seinem Enkel 600.000 Euro schenken, würde bei direkter Übertragung eine erhebliche Schenkungsteuer anfallen, da der Freibetrag zwischen Großvater und Enkel nur 200.000 Euro beträgt. Die Steuerbelastung würde sich auf 60.000 Euro belaufen. Bei einer Kettenschenkung würde der Großvater zunächst 400.000 Euro an seinen Sohn übertragen, was aufgrund des Freibetrags von 400.000 Euro steuerfrei erfolgen kann. Anschließend überträgt der Sohn diese 400.000 Euro an seinen Sohn, das Enkelkind, was ebenfalls aufgrund des Freibetrags zwischen Vater und Kind steuerfrei erfolgt. Zusätzlich kann der Großvater direkt 200.000 Euro an das Enkelkind übertragen, wodurch dessen Freibetrag ausgeschöpft wird. Das Ergebnis ist eine vollständig steuerfreie Übertragung von 600.000 Euro.

Die Kettenschenkung ist rechtlich zulässig, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der Bundesfinanzhof hat in mehreren Entscheidungen die Rechtmäßigkeit dieser Gestaltung bestätigt, dabei aber klare Grenzen aufgezeigt. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass die Zwischenperson frei über das erhaltene Vermögen verfügen kann. Es darf keine rechtliche oder tatsächliche Verpflichtung zur Weiterleitung bestehen. Wenn im Schenkungsvertrag eine Klausel enthalten ist, die die Zwischenperson zur Weiterleitung verpflichtet, wird die Kettenschenkung vom Finanzamt nicht anerkannt. Darüber hinaus muss die Zwischenperson die Berechtigung und die tatsächliche Möglichkeit haben, das Vermögen für eigene Zwecke zu verwenden. Eine nur formale Zwischenschaltung ohne echte Verfügungsbefugnis führt zur Nichtanerkennung der Gestaltung. Obwohl keine gesetzliche Schamfrist zwischen erster und zweiter Schenkung besteht, empfiehlt es sich aus praktischen Gründen, einen gewissen zeitlichen Abstand einzuhalten. Dies vermeidet Diskussionen mit dem Finanzamt und unterstreicht die Ernsthaftigkeit der Gestaltung.

Praktische Beispiele zur Freibetragsnutzung 

Beispiel 1: Einfache Schenkung zwischen Ehepartnern

Ein Ehemann möchte seiner Frau 750.000 Euro schenken. Da Ehepartner einen Freibetrag von 500.000 Euro haben, müssen 250.000 Euro der Schenkungsteuer unterliegen. Bei einem Steuersatz von 11 Prozent beträgt die Schenkungsteuer 27.500 Euro.

Beispiel 2: Optimierte Schenkung durch Aufteilung

Ein Vater möchte seinem Sohn 800.000 Euro schenken. Anstatt den gesamten Betrag auf einmal zu übertragen, schenkt er zunächst 400.000 Euro, die aufgrund des Freibetrags steuerfrei sind. Nach gut zehn Jahren überträgt er weitere 400.000 Euro, die ebenfalls steuerfrei sind. Dadurch wird die gesamte Übertragung steuerfrei, während bei einer sofortigen Übertragung 60.000 Euro Steuern angefallen wären.

Beispiel 3: Kettenschenkung zur Steueroptimierung

Eine Großmutter möchte ihrer Enkelin 600.000 Euro schenken. Bei direkter Übertragung würde nach Abzug des Freibetrags von 200.000 Euro eine Schenkungsteuer von 60.000 Euro anfallen. Durch eine Kettenschenkung über die Mutter als Zwischenperson kann die Übertragung vollständig steuerfrei erfolgen. Die Großmutter schenkt zunächst 400.000 Euro an die Mutter, die diese dann an die Tochter weiterleitet. Zusätzlich kann die Großmutter direkt 200.000 Euro an die Enkelin schenken.

Beispiel 4: Auswirkungen der Zehn-Jahres-Regel

Ein Unternehmer hat seiner Tochter 2018 bereits 300.000 Euro geschenkt. Im Jahr 2025 möchte er weitere 200.000 Euro übertragen. Da beide Schenkungen innerhalb von zehn Jahren erfolgen, müssen sie zusammengerechnet werden. Der Gesamtbetrag von 500.000 Euro übersteigt den Freibetrag von 400.000 Euro, sodass 100.000 Euro der Schenkungsteuer von 11.000 Euro unterliegen.

Besondere Gestaltungsmöglichkeiten und Fallstricke 

Bei der Nutzung der Freibeträge sind verschiedene Besonderheiten zu beachten. So können neben den persönlichen Freibeträgen auch sachliche Steuerbefreiungen in Anspruch genommen werden. Hierzu gehören beispielsweise Freibeträge für Hausrat und andere bewegliche Gegenstände, die je nach Steuerklasse zwischen 12.000 und 41.000 Euro betragen können. Eine wichtige Rolle spielt auch die Bewertung der übertragenen Vermögensgegenstände. Bei Immobilien wird grundsätzlich der Verkehrswert angesetzt, der durch ein Gutachten ermittelt werden kann. Bei Unternehmensbeteiligungen gelten besondere Bewertungsregeln, die erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnen können. Sowohl Erwerbe von Todes wegen als auch Schenkungen müssen dem zuständigen Finanzamt angezeigt werden. Die Anzeigepflicht besteht für alle Beteiligten und muss innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Erwerbs erfolgen. Bei Schenkungen sind sowohl der Schenker als auch der Beschenkte zur Anzeige verpflichtet. Eine Ausnahme von der Anzeigepflicht besteht, wenn der Erwerb auf einem notariell beurkundeten Vertrag beruht und sich aus diesem das Verwandtschaftsverhältnis ergibt. In solchen Fällen wird das Finanzamt automatisch durch den Notar informiert.

Fazit: Die Bedeutung professioneller Beratung

Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht bietet erhebliche Gestaltungsspielräume, die jedoch nur bei professioneller Beratung optimal genutzt werden können. Die komplexen Regelungen zu Freibeträgen, Steuerklassen und der Zehn-Jahres-Regel erfordern eine sorgfältige Planung und Abstimmung mit den individuellen Zielen der Vermögensübertragung. Wer die Grundlagen des Systems versteht und die verfügbaren Instrumente wie Kettenschenkungen oder die strategische Nutzung der Zehn-Jahres-Regel gezielt einsetzt, kann erhebliche Steuerlasten vermeiden. Angesichts der ungewissen Zukunft der aktuellen Rechtslage sollten Vermögensinhaber nicht länger zögern, sondern heute die Weichen für eine steueroptimierte Vermögensübertragung stellen. Die Investition in eine qualifizierte steuerrechtliche Beratung zahlt sich dabei mehrfach aus, da bereits kleine Optimierungen in der Gestaltung zu erheblichen Steuerersparnissen führen können. In einer Zeit, in der die Vermögensübertragung zwischen den Generationen zu einer der wichtigsten unternehmerischen Aufgaben geworden ist, entscheidet die richtige Strategie über den Erfolg der Nachfolgeplanung.

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