Von Dr. Christopher Riedel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf
Die Unternehmensnachfolge ist für den deutschen Mittelstand zu einer der drängendsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geworden. Während das Thema früher noch als eine ferne Zukunftsfrage betrachtet wurde, zeigt die aktuelle Realität ein anderes Bild: Die demografische Entwicklung, veränderte Wertvorstellungen der nachfolgenden Generation und die Komplexität der rechtlichen sowie steuerlichen Rahmenbedingungen haben die Nachfolgeplanung zu einer existenziellen Aufgabe für jeden Unternehmer gemacht. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen verdeutlicht die Brisanz der Situation und unterstreicht, warum eine frühzeitige und strukturierte Herangehensweise nicht nur empfehlenswert, sondern überlebenswichtig für den Fortbestand des Unternehmens ist.
Die Statistiken zur Unternehmensnachfolge in Deutschland zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Laut dem aktuellen KfW-Nachfolge-Monitoring 2024 planen bis Ende 2028 rund 532.000 der insgesamt 3,84 Millionen mittelständischen Unternehmen eine Nachfolge – das entspricht jährlich etwa 106.000 Unternehmen. Noch dramatischer sind die Zahlen des DIHK-Reports zur Unternehmensnachfolge 2024: Mit 8.276 Beratungen von Alt-Inhabern durch ihre Industrie- und Handelskammer wurde ein neuer Rekord aufgestellt - ein Zuwachs von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Entwicklung ist alarmierend, da die Zahl der angebotenen Betriebe dreimal so groß ist wie die der Nachfragen.
Die Problematik verschärft sich durch eine beunruhigende Tendenz: Erstmals in der Geschichte des Nachfolge-Monitorings erwägen 231.000 Unternehmen bis Ende 2024 eine Stilllegung – das sind 16.000 mehr als die Anzahl der Unternehmen, die bis Jahresende eine Übergabe planen. Mit anderen Worten: Jedes vierte Unternehmen in Deutschland zieht eine Geschäftsaufgabe beim Rückzug der gegenwärtigen Inhabergeneration in Erwägung. Diese Entwicklung ist nicht nur für die betroffenen Unternehmen dramatisch, sondern birgt gesamtwirtschaftliche Risiken von enormer Tragweite. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig. Der demografische Wandel spielt dabei eine zentrale Rolle: Bereits jetzt sind 54 Prozent der mittelständischen Unternehmerschaft 55 Jahre oder älter – vor 20 Jahren waren es lediglich 20 Prozent. Das Durchschnittsalter der aktuellen Inhabergeneration erreicht einen neuen Höchststand, und ihre Alterung schreitet insgesamt schneller voran als in der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Unternehmer, die tatsächlich eine Nachfolge innerhalb der kommenden zwei Jahre anstreben, sind im Durchschnitt bereits über 65 Jahre alt, ein Viertel wird zum geplanten Rückzugszeitpunkt sogar bereits über 70 Jahre alt sein.
Die Konsequenzen einer ungeklärten Unternehmensnachfolge reichen weit über die individuellen Schicksale der betroffenen Unternehmer hinaus. Hochgerechnet auf sämtliche Geschäftsinhaber ab 60 Jahren könnten in den kommenden fünf Jahren etwa eine Viertelmillion Unternehmen von vorzeitigen Schließungen betroffen sein. Diese Zahlen verdeutlichen ein gravierendes Problem für den Wirtschaftsstandort Deutschland, das besonders strukturschwache Regionen hart treffen wird. Der Verlust von Arbeitsplätzen ist eine der unmittelbarsten Folgen gescheiterter Nachfolgeplanungen. Kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen 55 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland und erwirtschaften 42 Prozent der Bruttowertschöpfung. Wenn diese Unternehmen aufgrund fehlender Nachfolge schließen müssen, droht nicht nur der Wegfall von Hunderttausenden Arbeitsplätzen, sondern auch eine Deindustrialisierung ganzer Regionen sowie Kettenreaktionen in den nationalen und internationalen Lieferketten.
Besonders kritisch ist der drohende Verlust von Fachwissen und Expertise. Viele mittelständische Unternehmen verfügen über spezialisiertes Know-how, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde. Dieses implizite Wissen ist oft eng mit der Person des Unternehmers verbunden und kann nur durch eine sorgfältige Übergabe an die nächste Generation weitergegeben werden. Wenn Unternehmen geschlossen werden, geht dieses wertvolle Wissen unwiederbringlich verloren – ein Schaden, der sich nicht nur in volkswirtschaftlichen Zahlen messen lässt.
Die Praxis zeigt, dass viele Unternehmer bei der Nachfolgeplanung wiederkehrende Fehler begehen, die den Erfolg der Übergabe gefährden. Der häufigste und schwerwiegendste Fehler ist das Hinauszögern der Nachfolgeplanung. Viele Unternehmer beschäftigen sich erst mit der Nachfolge, wenn es fast zu spät ist. Diese Verdrängung ist menschlich nachvollziehbar, da allein die Beschäftigung mit der Materie Zukunftsängste aufkommen lässt. Jedoch lässt diese Haltung wertvolle Zeit für einen systematischen Übergabeprozess ungenutzt verstreichen. Ein weiterer typischer Fehler liegt in der mangelnden Kommunikation über die Nachfolge im Familienkreis. Oft wird die anstehende Unternehmensnachfolge viel zu spät oder manchmal gar nicht im Familienkreis thematisiert. Unausgesprochene Annahmen oder Erwartungen der Generationen führen nicht selten zu Konflikten, wenn die Nachfolge konkret geregelt werden soll. Viele Unternehmer gehen davon aus, dass ein Familienmitglied automatisch das Unternehmen übernehmen möchte, ohne dies jemals explizit zu besprechen.
Die Fokussierung auf den falschen Nachfolger stellt einen weiteren kritischen Fehler dar. Nicht jedes Kind eines Unternehmers ist automatisch für den Chefsessel geboren. Diese Erkenntnis wird aber gerade von besonders engagierten Unternehmern gerne ignoriert. In dem Bemühen, für den Nachwuchs ein passendes Betätigungsfeld zu finden, wird die künftige Unternehmensstrategie nicht an den Markterfordernissen, sondern vor allem an den individuellen Präferenzen des potenziellen Nachfolgers ausgerichtet. Auch die unzureichende Vorbereitung auf die Übergabe selbst ist ein häufiger Stolperstein. Laut DIHK-Report haben 41 Prozent der Senior-Unternehmer sich nicht rechtzeitig auf die Unternehmensnachfolge vorbereitet. Viele wenden sich erst zwei Jahre oder weniger vor der geplanten Übergabe an potenzielle Käufer, was oft zu spät ist. Einige Unternehmer reduzieren in Erwartung einer Übertragung Investitionen und Innovationen, was die Attraktivität des Unternehmens für potenzielle Nachfolger senkt.
Die Komplexität der Nachfolgeplanung erfordert eine langfristige und strukturierte Herangehensweise. Experten sind sich einig, dass die Vorbereitung einer Unternehmensnachfolge mindestens fünf bis zehn Jahre vor dem geplanten Übergabetermin beginnen sollte. Diese Zeitspanne ist nicht übertrieben, sondern spiegelt die Realität der verschiedenen Phasen wider, die eine erfolgreiche Nachfolge durchlaufen muss. Der idealtypische Verlauf einer Unternehmensnachfolge beginnt etwa zehn Jahre vor der geplanten Übergabe mit grundsätzlichen Überlegungen und ersten Schritten zur Nachfolgersuche. Acht Jahre vor der Übergabe sollte die Prüfung der Übergabefähigkeit des Unternehmens erfolgen. Fünf Jahre vor der Übergabe muss die Nachfolgersuche forciert und persönliche Ziele definiert werden. Drei Jahre vor der Übergabe sollte ein konkreter Übergabeplan vorliegen, und ein Jahr vor der Übergabe beginnt die Einarbeitung mit der schrittweisen Abgabe von Führungsaufgaben. Diese zeitliche Strukturierung ist nicht willkürlich, sondern berücksichtigt die verschiedenen Herausforderungen, die im Laufe des Prozesses bewältigt werden müssen. Die Identifikation und Qualifizierung eines geeigneten Nachfolgers, die Anpassung der Unternehmensstrukturen, die steuerliche Optimierung der Übertragung und die Bewältigung familiärer Konflikte benötigen alle ausreichend Zeit für eine sorgfältige Bearbeitung.
Die rechtlichen und steuerlichen Aspekte der Unternehmensnachfolge haben in den letzten Jahren erheblich an Komplexität gewonnen. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz bietet zwar mit den Paragrafen 13a und 13b wichtige Steuerbefreiungen und Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen, jedoch sind die Voraussetzungen für diese Begünstigungen so komplex geworden, dass sie häufig Gegenstand von Gerichtsverfahren sind. Die steuerlichen Verschonungsregelungen unterscheiden zwischen der Regelverschonung von 85 Prozent und der Optionsverschonung von 100 Prozent. Bei der Regelverschonung muss der Erwerber den Betrieb mindestens fünf Jahre fortführen und bei mehr als 15 Beschäftigten nachweisen, dass die Lohnsumme innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb insgesamt 400 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet. Bei der Optionsverschonung verlängert sich die Behaltensfrist auf sieben Jahre und die Mindestlohnsumme steigt auf 700 Prozent. Diese komplexen Regelungen erfordern eine sorgfältige Planung und professionelle Beratung. Fehler bei der Gestaltung können nicht nur zu erheblichen Steuerlasten führen, sondern auch den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Die Abgrenzung zwischen begünstigtem Betriebsvermögen und schädlichem Verwaltungsvermögen, die Einhaltung der Lohnsummenregelungen und die Beachtung der verschiedenen Fristen erfordern eine jahrelange Vorbereitung und kontinuierliche Überwachung.
Angesichts der Komplexität der Nachfolgeplanung ist die Einbindung professioneller Berater unverzichtbar. Die Erfahrung zeigt, dass eine erfolgreiche Nachfolge nur durch die koordinierte Zusammenarbeit von Fachanwälten für Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und Erbrecht sowie spezialisierten Steuerberatern und Nachfolgeexperten gelingen kann. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ist notwendig, um die verschiedenen Aspekte der Nachfolge – von der rechtlichen Gestaltung über die steuerliche Optimierung bis hin zur familieninternen Kommunikation – erfolgreich zu koordinieren. Ein strukturierter Nachfolgeplan muss alle wesentlichen Aspekte der Übergabe umfassen und beide Parteien dazu zwingen, sich bereits frühzeitig über alle möglicherweise kritischen Punkte der Nachfolge auszutauschen. Die Gefahr, dass wichtige Teilaspekte der Nachfolge ausgespart werden, ist ohne einen solchen Plan erheblich größer, und gerade solche Regelungslücken können eine Nachfolge im letzten Moment scheitern lassen.
Die frühzeitige Planung der Unternehmensnachfolge ist daher nicht nur eine Empfehlung, sondern eine unternehmerische Pflicht. Sie sichert nicht nur den Fortbestand des Unternehmens und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter, sondern schützt auch das Lebenswerk des Unternehmers vor dem Verfall. In einer Zeit, in der die Herausforderungen der Nachfolge immer komplexer werden und die Zahl der verfügbaren Nachfolger abnimmt, entscheidet die rechtzeitige und professionelle Vorbereitung über Erfolg oder Scheitern der Übergabe. Unternehmer, die heute handeln, schaffen die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft ihres Unternehmens – solche, die warten, riskieren alles.